Es muss ja fast unheimlich wirken auf Leute, die noch nie in einer richtig guten Yogaklasse waren! Menschen, die Yoga machen, wirken meist ungewöhnlich strahlend, positiv und rundum zufrieden – selbst wenn mal was schief läuft. Woran liegt das eigentlich? Warum gehe auch ich gestresst in eine Klasse und grinsend wieder nach Hause? Warum lachen wir am Ende meiner Yogastunden fast immer gemeinsam? Wer einmal den Yoga-Glow erlebt hat, kann nicht mehr ohne. Und so entsteht er:
Es müssen gar nicht die schwierigsten Positionen sein, die diese Glücksgefühle auslösen. Nicht nur die Krähe oder der Handstand lassen Yogaschüler in den siebten Yogi-Himmel schweben. Es ist vor allem ihre innere Haltung, die Yogis ermöglicht, über den Dingen zu stehen – und auch in schwierigen Situationen die Sicht für das Wesentliche zu wahren. Mit der Praxis von teilweise unmöglich erscheinenden Dehn- und Kraftpositionen, aber auch schon mit den einfachsten Körperhaltungen entdecken wir uns selbst und die Welt völlig neu. Was einmal wahr war, erscheint plötzlich völlig überholt. Was unmöglich erschien, trauen wir uns plötzlich zu. Wo wir vorher nur unsere Schwächen gesehen haben, entdecken wir jetzt unsere Superkräfte. Und wir fühlen uns plötzlich so mächtig und stark, dass wir auch mal wieder ganz zart und verletzlich sein dürfen. Und vielleicht fühlen wir uns zum ersten Mal überhaupt ohne erkennbaren äußeren Anlass so tief erfüllt und zum Weinen glücklich. Yoga baut tatsächlich Glücksinseln, auf die wir im Alltag flüchten können. Das heißt nicht, dass wir Yogis nur noch durch das Leben schweben, uns nie wieder über Kleinigkeiten aufregen und diese zu Großigkeiten dramatisieren. Doch schon jede dieser kleinen Erfahrungen von Einheit und Frieden, diese Mini-Erleuchtungen im Alltag sind so etwas wie Glücksinseln, die uns zeigen: Aha, so kann sich das Leben also auch anfühlen. Einfach gut! Es ist schwer zu sagen, was genau an Yoga diese magische Wirkung entfaltet – zu unterschiedlich und persönlich ist das, was jeder aus seiner Praxis zieht. Aber es gibt einige Anhaltspunkte:
ACHTSAMKEIT Das Ende vom Pläne schmieden und Sorgen machen. Im Yoga gibt es nur Jetzt, alles andere ist unnötige Gedankenmacherei. Volle Konzentration auf jede einzelne Bewegung und Position. Sonst verliert man die Balance. Das ganze in Kombination mit dem ATEM, dem Katalysator für unsere Lebensenergie. In der yogischen Sichtweise transportiert, lenkt, harmonisiert und spendet der Atem prana, Lebensenergie. Die Verbindung von Atmen und Seele spiegelt sich auch in unserer Sprache: Uns stockt der Atem, wir sind atemlos oder atmen auf. Der Atem ist so etwas wie die Autobahn in tiefere Schichten unseres Seins. Im Yoga lenken wir mit dem Atem unsere Lebensenergie, beruhigen den Geist oder beleben unsere Geister, je nachdem, wie wir es gerade brauchen. BEWUSSTSEIN Der innere Beobachter, unser bester Freund. Das ist eine Hammer-Erkenntnis auf der Yogamatte. Wir sind unseren Gefühlen und Stimmungen nicht hilflos ausgeliefert. Wir und unsere Gedanken und auch Gefühle, das sind zwei Paar Schuhe. Auf der Yogamatte lernt man tatsächlich einen Schritt zur Seite zu gehen und sich selbst zu beobachten. Oft steigert man sich in Situationen hinein, die von aussen betrachtet, eine Kleinigkeit sind. Diese Erkenntnis ist wie ein innerlicher Befreiungsschlag. Oft habe ich nach Yogastunden Lösungen für Probleme, die mir davor nicht mal bewusst waren! EINHEIT Yoga bedeutet Einheit und Verbindung: Das kann unsere Verbindung nach innen sein und die Einheit von Körper, Geist und Seele. Das kann auch die Verbindung nach außen sein: Ich mag die Idee, dass Menschen, Tiere, Pflanzen und alles Lebendige Einzelformen des Lebens sind, die gemeinsam ein harmonisches Ganzes bilden, ähnlich einem Mosaik, in dem jeder Stein gleich wichtig ist. FREUDE Der Stoff, aus dem wir gemacht sind. Unser Bewusstsein, das manche Seele nennen, manche das “Sehende”, das “Göttliche” oder das “Licht” in uns, macht den wesentlichen Kern unserer Existenz aus. Dieser Kern ist beim Menschen “eingepackt” in fünf Körper oder Hüllen: Pancha Kosha. Die äußerste Kosha ist unser physischer Körper. Darunter liegen der Energiekörper, der Geisteskörper, der Intellektkörper und darunter schließlich mein Lieblingskörper: Die Wonnehülle. In der yogischen Sichtweise ist Freude der Stoff, aus dem wir gemacht sind! Das Glück steckt in uns drin, es ist ein Teil von uns! GEIST Die vermeintliche Stimme der Vernunft. Der Geist, citta, kommt im Yoga nicht besonders gut weg. Irgendwie ist der Geist so ziemlich schuld für so ziemlich all unser Leid. Dabei meint es nur gut mit all seinen Warnungen, Einschätzungen, Plänen und Ängsten. Aber was uns Yoga lehrt ist die stürmischen Wellen des Geistes, nicht immer so ernst nehmen. Wir sind nicht, was wir denken und fühlen. Und auch das Leben ist nicht immer das, was der Geist uns vorgaukelt. Egal was der Geist uns einflüstern möchte: Wir sind gut genug. Wir haben es verdient, glücklich zu sein. Wir müssen um Liebe nicht kämpfen. Es ist viel mehr möglich, als wir uns vorstellen können. Es lohnt sich, auf das Herz zu hören. HINGABE Sich hingeben heisst nicht nur leidenschaftlich zu leben. Sich hingeben heißt auch, dass wir unsere festen Vorstellungen, Ängste und Widerstände aufgeben – und uns dem ergeben, was ist. Das bedeutet nicht, dass wir uns sehenden Auges ins Unglück stürzen müssen. Es bedeutet, dass wir uns für unser Glück öffnen und zugreifen sollten, wenn es vor uns steht. Es wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende. LOSLASSEN Das Glück kommt, wenn wir es nicht erwarten. Loslassen, davon wird im Yoga häufig gesprochen. Spannungen, negative Gedanken, Ballast – alles soll losgelassen werden. Ich habe mich so oft gefragt (vor allem am Anfang von Stunden) wie das eigentlich gehen soll. Das ist ja genau das Problem von Stress, Verspannungen, Schmerzen und Co, dass sie nicht einfach verschwinden, wenn wir das möchten. Für mich bedeutet Loslassen heute vor allem das: Die Idee loszulassen, dass wir immer gleich glücklich sein müssen. Dass wir niemals Schmerzen haben dürfen. Dass es uns nie schlecht gehen darf. Das Leben ist kein Kindergeburtstag. Wenn wir das wirklich mit ganzem Herzen akzeptieren, sind wir schon einige wesentliche Krämpfe im Kopf los. Loslassen bedeutet im ersten Schritt: Annehmen, was ist. Alles bewusst zu spüren, auch den unangenehmen Seiten in uns liebevolle Aufmerksamkeit zu schenken. LIEBE Mit der Yogapraxis machen wir immer auch ein bisschen Liebe mit uns selbst – und je hemmungsloser wir dabei sind, desto mehr Liebe und Empathie haben wir auch für die Welt um uns herum. Love more, fear less. Float more, steer less. NAMASTÉ ist unter Hindus ein Gruß, der auf mehreren Ebenen Respekt und den Wunsch nach Verbindung ausdrückt. Wörtlich übersetzt heißt es “Verehrung dir”. Es gibt eine beliebte Deutungsweise des Grußes, die uns daran erinnert, dass wir im Wesentlichen alle Teil einer Einheit sind, die größer ist als wir selbst: Das Licht in mir verneigt sich vor dem Licht in dir. Das Göttliche in mir verneigt sich vor dem Göttlichen in dir. Anstatt, wie unser Geist es so gerne tut, die Unterschiede und das Trennende zwischen uns hervorzuheben, führen wir unsere Hände vor dem Herz zusammen und verneigen uns vor dem, was uns verbindet: Das Kostbare in dem anderen spiegelt das Kostbare in uns selbst. Die Idee uns selbst als etwas Wertvolles und Strahlendes zu begreifen, kann sehr heilend sein und grundlegend verändern, wie wir die Welt wahrnehmen: Wenn ich selber strahle, strahlt die Welt zurück. In diesem Sinne: Namasté.
Sehr gut geschrieben und erklärt. Danke. NAMASTE
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